Ilmenau Hannah ist ein wenig aufgeregt. Mit drei Bewerbungsmappen in der Hand steht die Neuntklässlerin an diesem Vormittag im Foyer der Ilmenauer Festhalle. Ihre Schulkameradinnen Lara und Jill halten ihre Mappen ebenfalls vor sich. Sie schauen auf die Uhr. „Gleich geht es los“, sagen die Mädchen und laufen auf die vielen Tische im großen Saal zu.
Hannah nimmt gegenüber von Robert Gärtner Platz. Er ist Ausbildungsleiter bei der Hitachi Rail GTS Deutschland GmbH. Das Unternehmen mit Sitz in Arnstadt fertigt Geräte und Anlagen der Sicherungs- und Signaltechnik für den schienengebundenen Nah- und Fernverkehr.
Dort sind unter anderem Elektroniker, Mechaniker, Mechatroniker, Industriekaufleute, Ingenieure, Techniker und Betriebswirte beschäftigt. Etwa 40 Azubis und Duale Studenten lernen hier; das Ausbildungszentrum soll sogar erweitert werden.„Wir kennen uns ja bereits vom Tag im Unternehmen, Hannah“, sagt Robert Gärtner mit einem freundlichen Lächeln. Das Mädchen mit den blonden, langen Haaren nickt schmunzelnd. „Was wären denn deine Berufswünsche?“, fragt er die Stadtilmerin, die die Regelschule in Gräfinau-Angstedt besucht. „Ich möchte beruflich einmal in die technische Richtung gehen. Mechatronik interessiert mich sehr“, sagt die Schülerin.
Auch Stärken und Schwächen werden angesprochen
In einer Glaserei und Bautischlerei habe sie bereits ein Praktikum absolviert, außerdem in einem Gartenbaubetrieb. „Keines war besser oder schlechter, mich hat beides interessiert und mir Spaß gemacht“, antwortet sie diplomatisch auf entsprechende Frage. Außerdem wirft Robert Gärtner einen Blick aufs Zeugnis der Schülerin und erklärt, dass Mathe und Physik für die Berufe bei Hitachi wichtig sind.
„Schlechter als drei sollte es nicht sein“, sagt er. Für Hannah keine Hürde. Der Ausbildungsleiter erklärt weiter: Sechs Stunden Praktikum pro Tag, dazwischen zweimal eine halbe Stunde Pause erwartet die zukünftigen Praktikanten.
„Und gibt es dann einen festen Ansprechpartner oder Betreuer für mich?“, will Hannah noch wissen. Robert Gärtner bejaht. Klassisch wie im Bewerbungsgespräch wird sich noch über Stärken und Schwächen unterhalten, über die Ausbildungsvergütung und dass jeder Azubi bei bestandener Prüfung eine Übernahmegarantie im mehr als 600 Mitarbeiter starken Betrieb hat. Dann ertönt das Läuten, das an das Pausenklingeln in der Schule erinnert, über die Lautsprecher der Festhalle. Ding, Dong - die Zeit ist um.
Zehn Minuten sind pro Unternehmen eingeplant. Drei bis fünf können die Schüler an diesem Donnerstag kennenlernen - und beide Seiten herausfinden, ob ein Praktikumsplatz infrage kommt. Anmelden für dieses „Speeddating“ um einen Praktikumsplatz konnten sich die Schüler im Vorfeld. Mit ihrem Laufzettel zieht Hannah weiter, so wie auch Lara, Jill oder Jaden, der sich beispielsweise um ein Praktikum bei Binz, bei der Deutschen Bahn oder B+S Frieg bemüht.
„Am Ende tragen sowohl die Schüler als auch die Unternehmen in die Spalten jeweils die Note eins bis fünf ein. Die Zettel sollen bis Montag abgegeben werden. Dann sehen wir, bei wem es passt, und können die Praktika vermitteln“, sagt Thomas Umbreit. Er ist nicht nur Schulleiter an der Regelschule Ichtershausen, sondern auch Vorsitzender des Netzwerkes Schule-Wirtschaft Ilm-Kreis, das bei der Initiative Erfurter Kreuz angesiedelt ist. Die Praktika sollen an insgesamt 21 Tagen stattfinden, aufgeteilt in zwei Blöcke; vom 17. Oktober bis 21. Januar und vom 20. Januar bis 3. April. Die Schüler sind immer donnerstags in den Unternehmen beschäftigt. Praxistag nennt sich dieses Pilotprojekt und ist vergleichbar mit dem Fach Praktische Arbeit, das manch einer wohl aus DDR-Zeiten kennt. Zunächst nehmen drei Schulen am Projekt teil - die Regelschulen in Gräfinau-Angstedt, Ichtershausen und Großbreitenbach. „Perspektivisch soll das Ganze gerne mit allen Neuntklässlern veranstaltet werden. Wir wünschen uns, dass alle weiterführenden Schulen mitmachen“, sagt Franz-Josef Willems, Vorsitzender der Initiative Erfurter Kreuz.
Wirtschaft, Schulen und Landkreis ziehen an einem Strang
Landrätin Petra Enders betont: „Die heutige Veranstaltung ist ein tolles Beispiel dafür, wie Wirtschaft, Schulen und der Kreis gemeinsam an einem Strang ziehen und dazu beitragen können, jungen Menschen eine klare Vorstellung von den vielfältigen beruflichen Möglichkeiten in unserer Region zu geben“. Schließlich haben die Schüler hier in realistischen Bewerbungsgesprächen die Möglichkeit, sich zu beweisen - „eine Erfahrung, die für die berufliche Erfahrung und den Einstieg ins Arbeitsleben von unschätzbarem Wert ist“, so die Landrätin. „Oft gehen die Jugendlichen eher den leichten Weg bei der Praktikumssuche; schauen im direkten Umfeld. Hier blicken sie über den Tellerrand hinaus“, weiß Enrico Geber von der Berufsberatung der Arbeitsagentur, der auch die Schüler im Vorfeld in ihren Einrichtungen besucht und ihnen wichtige Tipps mit auf den Weg gegeben hat.
IHK, Arbeitsagentur, die Schulen selbst, der Ilm-Kreis und die Initiative Erfurter Kreuz haben im Vorfeld die Firmen angeschrieben; 46 Unternehmen haben sich beim Speeddating für den Praxistag beteiligt. Die Bandbreite reicht von kaufmännischen Berufen über solche im Handwerk bis hin zu jenen im Bereich Pflege
So sind auch Betriebe wie der Seniorenwohnpark Dorotheental AG mit ihren fünf Häusern in Arnstadt dabei. Klares Ziel sei es, langfristig den Bedarf an Azubis und Fachkräften abzusichern, sagt Heimleiter Frank Büchner. „Wir hatten hier sehr interessante Gespräche mit interessierten Mädchen, die gerne bei uns reinschnuppern wollen“, freut er sich. Langfristig wolle man Verbindungen schon mit Schülern über Praktika aufbauen - „der Schritt in die Ausbildung ist dann nur noch ein kleiner, wenn man das Unternehmen bereits kennt“, weiß er. 19 Azubis beginnen beim Seniorenwohnpark Dorotheental jetzt ihre Lehre; insgesamt betreue man fast 50 Schüler. Nachwuchs werde immer gesucht.
Auch Tobias Schmidt von der Glasbläserei Schmidt in Ilmenau weiß, dass es eher schwerer als leichter wird, Azubis zu finden. Jedes Jahr bilde sein Betrieb aus; auch Praktika habe er in den vergangenen Jahren regelmäßig angeboten. Das Speeddating und das Projekt Praxistag findet er sehr gut. So könnten Schüler frühzeitig ein Bild von dem Beruf erlangen und wüssten, worauf es ankommt - und zwar bevor sie einen Lehrvertrag unterschreiben.
Der Glasapparatebläser, erklärt er, sei etwa ein Beruf, „der unter anderem viel Geduld und Fingerfertigkeit verlangt. Dank eines Praktikums weiß man im Vorfeld schon, ob der Beruf zu einem passt oder nicht“.Dass Hannah ein Händchen fürs Praktische hat, hat sie schon herausgefunden. Und auch Robert Gärtner scheint sie überzeugt zu haben. Auf die Frage, welche Note der Ausbildungsleiter bei Hitachi ihr auf den Laufzettel schreiben wird, sagt er ohne zu zögern: „Eine eins!“ Einem Praktikum steht hier also nichts mehr im Wege.
Praxistag wird in zwei Blöcken angeboten
Vom 17. Oktober bis 3. April, also von den Herbst- bis zu den Osterferien, werden die Neuntklässler einen Tag in der Woche (donnerstags) in einem Unternehmen verbringen. Insgesamt sind es 21 Tage. Das Projekt wird in zwei Blöcken angeboten, sodass die Schüler bei Wunsch auch in zwei Unternehmen hineinschnuppern können.
Die kontinuierlich stattfindenden Praktika sollen eine Entscheidungshilfe bei der künftigen Berufswahl sein. Nicht nur die Schüler könnten so Ausbildungsberufe und -betriebe hautnah kennenlernen, auch die Firmen bekommen bereits einen Blick auf potenzielle künftige Lehrlinge. Ums Praktikum bewerben mussten sich die Schüler an diesem Donnerstag wie im wahren Leben mit einem Bewerbungsgespräch - beim Speeddating in der Festhalle.
Der Praxistag soll zu einer dauerhaften Einrichtung werden und die weiteren berufsbildenden Angebote im Ilm-Kreis wie den Tag im Unternehmen, die Berufsinformationsmesse oder den Unterricht im Kompetenzzentrum ergänzen.
(Quelle: TA vom 24.08.)